Es gibt dieses berühmte Gebet, in dem es heißt: Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann; den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann; und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Man nennt dieses kurze Gebet auch Gelassenheitsgebet, denn es rührt an eine Tradition die wir von den Stoikern kennen: die Gelassenheit und Seelenruhe, aus der Erkenntnis und Weisheit aufsteigen.
Die unverändlichen Dinge anzunehmen, setzt voraus, dass wir die Allmachtsfantasie verlassen, die manch ein neuzeitliches Lebenshilfe-Buch in uns gepflanzt hat. Dass alles veränderbar sei, haben wir dort gelesen. Dass alles Manifestation unseres Geistes sei, haben wir gelesen. Dass noch die auswegloseste Situation sich ändern ließe, wenn wir ihre Heilung nur lebendig genug vor unserem geistigen Auge sähen, haben wir gelesen.
Weder Ohmacht noch Allmacht
Es ist leicht zu behaupten, Dinge seien unveränderlich. Wir nehmen gern Platz auf dem gemütlichen Sofakissen der Resignation. Es ist auch leicht zu behaupten, alle Dinge seien veränderlich. Auch mit der Illusion vollständiger Kontrollierbarkeit des Lebens lässt es sich gut aushalten.
Die Wahrheit ist wohl, wie immer, sehr viel komplexer, tiefer und wundersamer als wir annehmen. Das alte oben zitierte Gebet spricht mir daher aus der Seele. Denn es anerkennt die Macht des Menschen, Dinge ändern zu können und seine Verantwortung Dinge ändern zu müssen. Gleichzeitig räumt der Betende ein, Dinge zu erleben, die angenommen werden wollen. Auch wenn sie schmerzen, auch wenn sie nicht in das Bild eines perfekten, geglückten Lebens passen. Auch wenn es bedeutet, den Anderen in seiner Freiheit ebenso wie in seinen Unveränderlichkeiten akzeptieren zu müssen. Und nicht selten ist es ja der Andere, an dem wir uns reiben, mit dem wir kämpfen, unter dem wir leiden oder den wir nicht erreichen können.
Das obige Gebet räumt ein, dass eine Würde im freiheitlichen, verantwortlichen Tun des Menschen liegt, dass aber auch das Annehmen dessen was ist, unweigerlich zu seinen Aufgaben und Lernprozessen gehört.
Vorgeburtliche Freiheit
Unter westlichen Reinkarnationsgläubigen ist es üblich anzunehmen, die Seele habe sich alles was ihr im Leben widerfährt, vorgeburtlich ausgesucht. Dieser Glaube kann natürlich nicht nur Ansporn zur Erschließung des eigenen Seelenplans, sondern auch ein fadenscheiniger Tröster sein: Denn wenn man schon im Leben nicht alles entscheiden und beeinflussen kann, so möchten wir doch wenigstens glauben, man habe es sich vor der Inkarnation so ausgesucht. Das ist ein legitimes Modell von Realität – aber wie gebrauchen wir es?
Was, wenn es nicht so wäre? Was, wenn Deine Erfahrungen nicht von Dir ausgesucht worden wären? Was, wenn etwas, was Du gerade erlebst, nicht Ausdruck Deiner freien vorgeburtlichen Wahl ist, sondern Ausdruck Deiner Tatenlosigkeit und mangelnden Erkenntnis?
Wenn wir Freiheit spielen, statt frei zu sein
Wir sind seltsame Wesen: oftmals begnügen wir uns mit der Illusion von Freiheit, anstatt die Freiheit zu ergreifen, zu der wir wirklich fähig sind. Ich bin schon unzähligen Menschen begegnet, und gerne schliesse ich mich da selbst mit ein, die ihre Freiheit nicht ergriffen und sich lieber mit dem Glauben trösteten, sie hätten sich das was ihnen gerade widerfuhr, auf Seelenebene selbst ausgesucht. An diesen Glauben knüpfen sich eine Tatenlosigkeit und ein Fatalismus, die jedes freiheitliche verantwortliche Tun zu ersticken im Stande sind.
Aus diesem Grund sagen wir in unglücklichen Partnerschaften: das ist mein Seelenpartner. Und halten aus. Aus diesem Grund sagen wir: diese Krankheit hilft mir. Und halten aus. Aus diesem Grund sagen wir: Dieser Seelenvertrag bindet mich. Und halten aus.
Wir begnügen uns mit der Vorstellung, auf einer abstrakten Ebene frei gewählt zu haben, und subventionieren damit unsere Unfreiheit im Hier und Jetzt, unsere Tatenlosigkeit, unsere verstreichenden Lebensstunden, in denen wir tun was wir nicht tun wollen und sagen was wir nicht sagen wollen.
Macht Dein Weltbild Dich frei?
Und das begründen wir oft mit einem Glauben, mit einem Konzept, mit einem Reading, einem Channeling, mit etwas das uns gesagt wurde, und an das wir uns klammern, mit mehr Angst als Hingabe. Wenn Dein Glaube dies tut, wenn er Dir leise die Freiheit abschnürt, wenn er Dir ein nagendes Unbehagen in der Magengrube hinterlässt – ist es dann vielleicht an der Zeit, ihn gründlich zu prüfen?
Wir könnten doch aufrecht und blutvoll im Hier und Jetzt leben – mit dem Mut die Dinge zu ändern, die wir ändern können. Mit der Liebe, die Dinge anzunehmen, die wir nicht ändern können. Und mit der Demut, um die Weisheit zu bitten, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Liebe Giannina,
danke für diesen anregenden Beitrag. Auch mir gefällt dieses Gebet sehr, weil es dazu einlädt jeweils konkret und achtsam wahrzunehmen, was an der Zeit ist. Es hilft, uns von abstrakten Alternativen wie Freiheit oder Unfreiheit zu lösen und auf das zu achten, was uns konkret begegnet. Das Wichtigste sind eben nicht abstrakte Ideen, sondern die Kunst der Unterscheidung, was wir ändern und beeinflussen können. Es ist ein Weg jenseits der Alternative von Allmacht oder Ohnmacht.
Was Du über den vorgeburtlichen Seelenplan schreibst, ist eine Vorstellung die mir eher fremd ist. Aber es bestätigt mich in dem Eindruck, dass manche esoterische Lehren einfach Gott durch das Ich ersetzen. Diese Vorstellung scheint mir fast wie eine esoterische Adaption einer falsch verstandenen Prädestinationslehre. Denn auch da wurde von manchen aus der Vorstellung von der Allmacht und Allwissenheit Gottes abgeleitet, dass der Mensch unfrei ist und alles von Gott schon vorherbestimmt. Im Seelenplan scheint nun einfach an die Stelle Gottes die vorgeburtliche Seele zu treten.
Freiheit, die ich nicht hier und jetzt gebrauchen kann, ist für mich keine Freiheit. Aber zugleich sagt uns die Erfahrung, dass wir nicht grenzenlos frei sind. Und diese gebundene, begrenzte Freiheit können wir ergreifen, indem wir uns in der Kunst des Unterscheidens üben: was wir ändern können und was wir annehmen müssen, was uns mit dem Grund unseres Lebens verbindet und was uns davon trennt, was Leben schafft und was Leben zerstört, was unserem Wesen entspricht und was nicht.
Es gibt im Galaterbrief einen schönen Vers: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! Steht also fest und lasst euch nicht wieder in das Joch der Knechtschaft einspannen.“ (Gal 5,1) Es ist fast ein Kampfruf gegen jegliche Bevormundung durch Ideologien – seien sie nun klerikal, esoterisch oder atheistisch. Es ist für mich eine Einladung, dass Leben in die Hand zu nehmen im Wisssen darum, dass ich es letzlich nicht in der Hand habe, sondern aus dem Empfangen lebe.
Herzliche Grüsse
Bernd
Lieber Bernd,
herzlichen Dank für Deinen Kommentar und Deine Reflexionen.
Der vorgeburtliche Seelenplan ist Teil vieler esoterischer Lehren, und erfreut sich auch heute grosser Beliebtheit, wobei mir ein Grund für die Attraktivität dieses Konzeptes tatsächlich in dem Gefühl von Selbstbestimmung und Eigenmächtigkeit zu liegen scheint.
Es gibt in zeitgenössischen esoterischen Lehren auch einen Trend zum Panentheismus, und demzufolge ist Gott es selbst, der sich im menschlichen Leben erfährt – dort ist das Individuum ohnehin „nur“ Erscheinung des Einen, der sich selbst auf vielerlei Weise entfaltet und dementsprechend frei waltet. Die Crux an diesem Modell ist freilich, dass die Freiheit nur dann gilt, wenn aus der Perspektive dieses monistischen Gottes geblickt wird – wohingegen aus der Perspektive eines „Ich“, eines Individuums oder Selbst eben jegliche Freiheit Illusion ist (denn man ist ja nur ausagierende Erscheinung auf Erden).
Es gibt nach meinem Ermessen daran anlehnende Lehren, die eine Tiefe und Komplexität haben (und von denen ich gerne lerne), und solche die schlicht und ergreifend das tun, was Du unterstellst: Gott durch das Ich ersetzen. Da wird dann gerne unter dem Vorwand der Egoauflösung das Ego bis zum Exzess aufgeblasen, und ein freier Gottmensch wandelt durch eine Welt, die er frei gestalten kann (manifestatorisch).
Das ist mir persönlich zu billig – und trägt der Würde des Lebens nicht genügend Rechnung.
Ich persönlich glaube an eine heilige Verbindung menschlicher Freiheit und göttlicher Bestimmung – in der Tat gibt es für mich wohl so etwas wie einen göttlichen Plan, und einen Seelenplan – weder lasse ich mich da aber zu dem Glauben hinreißen, ich folgte nur unfrei diesem Plan, noch gehe ich dem Glauben auf den Leim, ich sei ein allmächtiger Arm Gottes, der manifestieren kann was ihm gerade in den Kram passt.
Es ist ein Mysterium, wie Freiheit und Bestimmung zusammenwirken, davon bin ich überzeugt, und vielleicht hat man das Glück in besonderen Momenten des Lebens hinter dieses Mysterium zu blicken.
Was Du zitierst, spricht mir aus der Seele, insofern ich meine dass jeder Glaube in die Freiheit führen muss weil er sonst Ideologie ist. Freiheit zu erkennen, anzunehmen und zu leben hat aber auch etwas von Erwachsenwerden und Mündigsein, und das nimmt uns sehr in Anspruch.
Da ist dieses Gebet eine wunderbare „Erdung“, weil es mich sowohl an das Gestaltbare als auch an das Gnadenvolle des Lebens erinnert. Und zwischen Tun und Empfangen, da entfaltet sich für mich menschliches Leben.
Danke und herzliche Grüße
Giannina
Liebe Giannina,
danke für Deine ausführliche Antwort. Du schreibst: „Es ist ein Mysterium, wie Freiheit und Bestimmung zusammenwirken, davon bin ich überzeugt, und vielleicht hat man das Glück in besonderen Momenten des Lebens hinter dieses Mysterium zu blicken.“ Ein – wie ich finde – sehr treffender Satz, denn ich bin auch überzeugt, dass es zu den wunderbarsten Dingen im Leben gehört, wenn ich diese beiden Dinge zusammenkommen und ich erfahre, dass ich in den Entscheidungen, die ich treffe, im Gebrauch meiner Freiheit, der sein darf, als der ich (vielleicht – oder bestimmt?) immer schon gedacht war.
Herzlich
Bernd
Leben als der, als der ich immer schon gedacht war….das ist ja grossartig, Bernd. Gefällt mir gut.
Leben, wie Gott mich gemeint hat. 🙂
Ich danke Dir!
Herzliche Grüße
Giannina
Hier müsste es einen Like-Button auch zu den Kommentaren geben.
Herzliche Grüße an euch, Giannina und Bernd.
Finde ich auch, lieber Stefan! 🙂
Herzensgrüsse zurück an Dich!
Liebe Giannina,
ich danke dir für diesen wundervollen Beitrag zu einem Thema, das in der Tat eine Komplexität ahnen lässt, die wir als Menschen mit unserem Verstand wohl nicht so einfach durchleuchten können.
Freiheit gibt es für mich nur im Herzen. Mein Kopf ist immer in der Lage sich sowohl in die Richtung der Unfreiheit wie auch in die Richtung der Freiheit seine Argumente zurechtzulegen. Aber welche Richtung nun die „wahre“ Freiheit ist, das kann mein Verstand mir niemals sagen. Das kann ich nur im Herzen spüren. Entscheide ich mich für „echte“ Freiheit, kann ich nur eine Herzensentscheidung treffen. Aber wie unangenehm ist es doch, wenn wir – nach jahrelanger Aufrechterhaltung einer Illusion – in unser Herz tauchen und feststellen, dass wir uns die eigene Freiheit genommen haben. Weil wir anderen Menschen mehr geglaubt haben als uns selbst. Weil wir uns unser Weltbild im Kopf so schön zurecht gelegt haben und nicht einmal uns selbst erlauben, daran zu rütteln. Weil wir nicht richtig hingehört haben. Weil wir vergessen haben, wie es sich anfühlt, wirklich frei zu sein.
Auch ich verwende immer gerne das von dir zitierte Gebet, es drückt so einfach aus, was doch so komplex ist.
Herzliche Grüße
Julia
Liebe Julia,
ich danke Dir für Deinen Beitrag. Dass es wahre Freiheit nur im Herzen gebe, das will ich bestätigen, wenn man denn „Herz“ als Metapher für das göttliche Sein in uns gebraucht, dessen Wahrheit unkorrumpierbar ist.
Unser Gefühl jedoch, das wir sehr oft mit diesem „Herz“ verwechseln, ist sehr wohl korrumpierbar, und „beschädigt“ durch die Erfahrungen unseres Lebens.
Das Wahrhaftige also unter dem Beschädigten, unter dem lauten Gefühl und den mühsam ordnenden Verstand zu finden, ist eine komplexe Aufgabe.
Und in der Tat wenden wir uns, da diese Aufgabe so komplex ist und uns oft überfordert, gerade eben an jene, die uns vermeintlich helfen können, und an Ideen, Konzepte, Weltbilder und Hoffnungen, die uns verheissen Glück zu finden.
Und da sagst du ganz richtig, dass wir selbst es sind, die uns diese Freiheit nehmen.
Schon Freud verortete die unerbittlichsten Instanzen der Maßregelung nicht im außen, sondern im Inneren des Menschen. Wir konstruieren uns laufend unsere Gefängnisse – und das zu merken und das loszulassen, ist eine Befreiung die Kreise zieht.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen Freiheit und die Gabe, würdig mit ihr umzugehen.
Herzlich,
Giannina
Gelassenheit und die innere Freiheit findet man nur in sich selbst. Es heißt, sich in Gelassenheit übern, weil es sich bei Gelassenheit um eine Gewohnheit handelt und eine neue Gewohnheit kann man sich nur durch oftmalige Wiederholung angewöhnen.
Dass man alles erreichen und alles haben kann, muss man von
+ entweder der Warte sehen, dass alles, was wir wahrnehmen, bzw. wahrzunehmen glauben, eine Illusion ist.
+ Oder dass alles aus vibrierenden subatomaren Partikeln besteht und wir eben nur wahrnehmen können, was in unserem Schwingungsfrequenzbereich schwingt. Z.B. ist der menschliche Schwingungsfrequenzbereich was das Hören anlangt ziemlich klein. Hunde können viel höhere Töne hören.
Fazit: Da ist viel mehr. Wir müssen uns nur mehr öffnen und das schaffen wir mit mehr Gelassenheit.